ROWE RACING Teamchef Hans-Peter Naundorf: „Am Ende waren wir einfach ‚tougher than the rest‘“
St. Ingbert, 2. Oktober 2020 – Der erste Triumph von ROWE RACING beim ADAC 24h-Rennen auf dem Nürburgring ist für Teamchef Hans-Peter Naundorf „etwas sehr, sehr Besonderes“. Zahlreiche Glückwünsche sind seitdem bei ihm eingegangen, auch von Konkurrenten und ehemaligen Partner. Wie „HP“ Naundorf die Leistung seiner Fahrer in der „Grünen Hölle“ einschätzt, warum der Erfolg für ihn einen deutlich höheren Stellenwert hat als der Sieg bei den 24 Stunden von Spa 2016 und wie er sich die Rückkehr als Titelverteidiger zum ADAC 24h-Rennen 2021 vorstellen kann, verrät er im folgenden Interview.
Wie viele Glückwünsche sind seit Sonntag per Telefon oder SMS eingegangen? Und gibt es Gratulanten, über die Du dich besonders gefreut hast?
Hans-Peter Naundorf, Teamchef ROWE RACING: „Genau kann ich das gar nicht sagen, es war auf jeden Fall eine dreistellige Zahl. Darunter waren auch einige ehemalige Weggefährten, die sich nach ganz langer Zeit mal wieder gemeldet haben und die man lange nicht mehr getroffen hatte. Es war auch toll, von einigen Konkurrenten und ehemaligen Partnern ganz ehrlich gemeinte Glückwünsche bekommen zu haben. Sehr gefreut habe ich mich unter anderem über die Glückwünsche von Stephane Ratel von der SRO und von Romain Morizot, dem Geschäftsführer unseres Rennanzugherstellers Stand21. Das zeigt, wie groß die Resonanz auf das ADAC 24h-Rennen auch außerhalb von Deutschland ist.“
Was bedeutet dieser Nürburgring-Sieg nach so vielen vergeblichen Anläufen?
Naundorf: „Mit den ganzen Faktoren, die das Rennen dieses Jahr so besonders gemacht haben, der Historie von BMW, dem sehnsüchtigen Wunsch von uns allen, dieses Rennen endlich zu gewinnen, und den ganzen gemeinsamen Anstrengungen, ist dieser Erfolg etwas sehr, sehr Besonderes. Es ist nicht nur ein Rennsieg, wie es vielleicht 2013 oder 2017 der Fall gewesen wäre, als wir schon mal ganz nah dran waren. Auch wegen der Corona-Thematik, die unser aller Leben momentan sehr einschränkt, hat dieser Erfolg für mich und für viele Partner und Beteiligte eine sehr große Bedeutung. Welche Auswirkungen das auf die Zukunft hat, ist schwer einzuschätzen. Wir haben in all den Jahren immer am meisten Energie und die größten Hoffnungen in dieses Rennen gelegt und vor allem in den letzten beiden Jahren bittere Enttäuschungen mit frühen Ausfällen erlebt. Es ist eine sehr große Genugtuung, diesen Erfolg erreicht zu haben – erst recht, weil es in diesem Jahr das härteste 24h‑Rennen der jüngeren Geschichte war. Und am Ende waren wir dabei einfach ‚tougher than the rest‘.“
Wie beurteilst Du seinen Stellenwert im Vergleich zum Spa-Sieg 2016?
Naundorf: „Das ist nicht wirklich vergleichbar, es sind ganz verschiedene Rennen mit unterschiedlichen Strategieansatzpunkten. Die einzigen Gemeinsamkeiten liegen darin, dass beides 24-Stunden-Rennen sind. Die Bedeutung des Nürburgring-Siegs ist für die Motorsport Competence Group und ROWE RACING ungleich größer. In Spa war unser Erfolg 2016 für alle eine Überraschung, am Nürburgring zählten wir seit Jahren immer zum Favoritenkreis und wussten selbst, dass wir es können. Deshalb ist nach den ganzen Vorbereitungen und intensiven Jahren jetzt ein viel größerer Knoten geplatzt. In Spa haben wir mit einem ganz neuen Auto im ersten Jahr unverhofft direkt gewonnen. Jetzt, nach fünf Jahren, ist der BMW M6 GT3 standhaft, alles ist aussortiert. In dieser Situation müssen dann alle kleinsten Schräubchen richtig eingestellt werden, die richtigen Fahrer im Auto sitzen und dann noch der Renngott für diese Bedingungen sorgen, bei denen nur die Allerbesten fehlerfrei durchkommen. Die Nordschleife zu bezwingen, ist das Härteste was ich in meinen 25 Jahren Rennsportleben bisher machen durfte.“
Was sagst Du zu den Leistungen der Fahrer?
Naundorf: „Die Fahrer auf beiden Autos haben Unglaubliches am Lenkrad geleistet. Aber auch ihr Durchhaltevermögen, ihre Fehlerfreiheit oder wie sie die Taktikvorgaben umgesetzt haben war ganz großes Kino. Stets haben Sie die Entscheidungen des Teams mitgetragen, egal welche ‚unmöglichen‘ Aufgabe wir ihnen gestellt haben. Aber vor allem anderen haben Sie nie aufgegeben, und dies ist ohnehin sinnbildlich für unsere ganze Mannschaft.“
Wann im Rennen wurde dir klar, dass es wirklich klappen kann? Erst am Sonntagmorgen, oder war die Zuversicht auch während der schwierigen Anfangsphase immer da?
Naundorf: „Wir haben uns mit Hinblick auf die Wetterprognosen schon vor dem Start gute Chancen ausgerechnet. Unsere Startphase mag etwas holprig ausgesehen haben, dennoch haben wir uns da nicht verrückt machen lassen. Wir lagen immer noch auf Strategiekurs. Als wir dann gegen Sonntagmittag in die Top-4 vorgefahren sind, haben wir schon mal realisiert, dass das Podium greifbar ist. Ab da gab es dann nur noch ‚maximum attack‘. Um den Sieg wurde es dann ganz eng mit dem Audi mit der #3. Als wir bei dessen letzten Stopp am Ende der drittletzten Runde auf die Döttinger Höhe eingebogen sind, sagten unsere Berechnungen, dass wir knapp vorne bleiben würden und danach die Führung wahrscheinlich behaupten könnten. Nick Catsburg war in dieser Runde nach unserem letzten Stopp so viel schneller als der Audi und hatte die letztlich entscheidenden Sekunden herausgefahren. Weil die #3 auch noch länger an der Box gestanden hatte, als wir erwartet hatten, betrug unser Vorsprung sogar 18 Sekunden, und Nick konnte die letzten beiden Runden auf unsere Ansage hin sogar etwas komfortabler angehen. Allerdings waren es noch lange 18 Minuten, bis wirklich die Zielflagge für uns geschwenkt wurde.“
Beide BMW M6 GT3 von ROWE RACING und auch das Schnitzer-Auto sind ohne technische Probleme durchgekommen. Kommen dem Fahrzeug da auch die lange Laufzeit und die entsprechend vielen Rennkilometer auf der Nordschleife zugute?
Naundorf: „Definitiv. Das Auto ist wahnsinnig standfest, wenn man es richtig einzusetzen weiß. Es gibt keine Baustellen mehr, alle drei Fahrzeuge von BMW sind wie ein Uhrwerk gerollt. Es gibt überhaupt keinen Grund, den BMW M6 GT3 schon in Rente zu schicken, nach dem Motto ‚je älter, desto besser‘ sollte man sich definitiv im kommenden Jahr nochmal der Herausforderung stellen, den Titel beim 24h-Rennen 2021 zu verteidigen.“